Wir schreiben das Jahr 1994. Der Sportclub sollte gerade so mit Ach und Krach in der vergangenen Saison den Klassenerhalt geschafft haben und war nun dabei, in eine beispiellose Saison zu starten.
Mit einem Volker Finke auf der Bank, einem Jörg Schmadtke im Tor, einer Pferdelunge namens Ralf Kohl auf der linken Außenbahn, einem Rodolfo Cardoso im offensiven Mittelfeld, und wie sie alle hießen, schickte sich der kleine Underdog aus dem Breisgau an, den Großen das Fürchten zu lehren. Tickets für die Heimspiele wurden nicht umsonst als heißeste Währung Südbadens gehandelt. Zum Ende der legendären Saison 1994/1995 sollte der SC dann gar knapp an der Meisterschaft vorbei schrammen und zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte am internationalen Wettbewerb teilnehmen.
Das Stimmungszentrum befand sich damals noch auf der Gegengerade, die zu gut zwei Dritteln aus Stehplätzen bestand. Die Nord, wie wir sie heute kennen, bestand zu der Zeit noch aus wenigen Stufen hinter dem Tor. Dort befand sich auch der berühmt-berüchtigte Kinderblock, in dem die jüngsten zum vergünstigten Preis die Spiele verfolgen konnten.
Auch ich hatte meine erste Dauerkarte dort. Es gab damals kein Auslosverfahren oder dergleichen für die Dauerkarten. Diese wurden noch in Handarbeit von Frau Stocker verteilt, und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie groß die Freude gewesen ist als, wir sage und schreibe drei Dauerkarten zugeteilt bekamen. Eine für meine Mutter, eine für die Schwester und eine für mich.
Hier sollte ich einlenken, und erst einmal von meinem allerersten Spiel im Dreisamstadion erzählen. Das war nun nämlich auch ganz anders, wie man sich das vorstellen sollte. Wie eingangs erwähnt, Tickets zu bekommen grenzte in dieser Zeit an eine Unmöglichkeit. Die Leute campten regelrecht vor der Geschäftsstelle, natürlich gerade wenn es gegen die Bayern ging, um dann eines der wenigen Tickets zu ergattern, die in Minuten ausverkauft waren. So verfolgte ich das legendäre 5-1 gegen den FC Bayern mit meiner Schwester im Autoradio unweit der Lassbergstraße. Ein oder gar zwei Tickets waren selbstverständlich nicht mehr aufzutreiben. Ab da hatte ich dann aber endgültig Blut geleckt – dennoch gab es da immer noch diese Kartenproblematik. So ergab es sich aber zu meinem 11. Geburtstag auf dem Weg zu der eher provisorischen Geschäftsstelle hinter der Südtribüne, dass ein Kassenhäuschen offen war und da ein ordentlicher Stapel Tickets vor dem Verkäufer lag. Ich natürlich gleich Feuer und Flamme, knallte mein gesamtes Geburtstagsgeld auf den Tresen und bezog zwei Tickets für das Spiel gegen Leverkusen, welches aber erst im September stattfinden sollte (wir befinden uns im Juni). Wieso, weshalb und warum es einen Vorverkauf für dieses Spiel so weit fernab des Spieltags gab – ich hab keinerlei Erklärung hierfür. No sleep ‚til Leverkusen war natürlich ab da das Motto, und die zwischendurch stattfindenden Partien verfolgte man (wie damals üblich) über FR1 mit Frank Rischmüller und stellte freilich den Videorecorder für „ran“ auf Sat 1.
Der Tag war gekommen, und ich stand tatsächlich direkt am Zaun und konnte mir erstmals das Treiben direkt auf dem Platz ansehen. Finke im Strandkorb und Leverkusens legendärer Dragoslav „Steppi“ Stepanovic. 0:1 durch Eigentor Stefan Müller, aber kurz vor der Halbzeit Ausgleich durch die absolute Legende, Rodolfo Cardoso. Der Laden komplett am Abtilten, ich mit meiner Fahne am Zaun und infantilen Wortkreationen für die Gäste parat. Meine Schwester hinter mir wurde immer bleicher, denn auf meine neu entwickelten Beleidigungen folgten auch Reaktionen aus dem Publikum hinter mir. Und so dämmerte es uns allmählich – wir hatten Karten für den Gästeblock erstanden.
Soviel zum Auftakt meiner Fußballsucht – „wegbereitend“ wäre glaube ich das Adjektiv das hier gesucht wird. Das nächste Spiel gab es dann leider erst wieder um Weihnachten herum. Diesmal mit Karten für den richtigen Block ausgestattet, die meine arme Mutter per Anstehen an der Geschäftsstelle besorgt hatte (ich hatte ja angeboten, die Schule zu schwänzen und selbst anzustehen), gab es einen 3-0 Heimsieg gegen Schalke. Mit Toren von (natürlich) Cardoso, Spies und Kohl – garniert mit der damals noch üblichen Wunderkerzenshow, die heutzutage natürlich per Hexenjagd von DFL und DFB nicht mehr so stattfinden kann.
Aber lasst euch von dem putzigen Namen des Kinderblocks nicht täuschen – da ging es teilweise rauher zu, als heutzutage auf den Rängen oder bei den heulenden, überbezahlten Profis auf dem Rasen. Ich werde wohl nie den erhobenen Mittelfinger von Mario Basler im Dress der Bremer vergessen, nachdem er von einer wildgewordenen Menge Halbstarker beim Aufwärmen so ziemlich alles an zu der Zeit gängigen Beleidigungen um die Ohren gepfeffert bekommen hatte.
Ein weiteres, so heute wahrscheinlich nicht mehr ganz denkbares Szenario spielte sich des öfteren am Eingang zu der Nordtribüne ab. Der nicht ganz so betuchte Stadiongänger durfte da noch zum selben Eingang hinein wie die feinen Herren von der Haupttribüne und kam so meist auch am einfahrenden Bus der Gastmannschaft vorbei. Dementsprechend durften sich die Guten beim Aussteigen auch so einiges anhören, insbesondere wenn sich die überheblichen Spätzlefresser die Ehre gaben, aber auch die Bayern bekamen hier ihr Fett ab. Eingeprägt hat sich bei mir eine Situation mit Werner Lorant, damals noch Cheftrainer bei 1860 München. Dieser sonst am Seitenaus kettenqualmende Zeitgenosse hatte zu dem Zeitpunkt gerade den Sargnägeln abgeschworen (inklusive Werbevertrag mit einem bekannten Anbieter von Nikotinersatzprodukten), und reagierte gar ungehalten auf mein Angebot, ihm eine Fluppe zu spendieren. „Sowas verbitte ich mir!“ brüllte es mir da von einer tiefroten Visage mit Löwenmähne entgegen, während auf unserer Seite des Zauns die Tränen flossen vor lauter Lachen.
Apropos rauchen – man wird ja auch mal älter, und wer mich kennt weiß, dass bei mir ständig irgendwas qualmt. So flog ich deswegen meist (nicht ganz unabsichtlich) bereits vor Anpfiff aus dem Kinderblock raus, und begab mich zu den „Großen“ auf den anderen Teil der Nord. Aber ich wäre nicht der, der ich bin, wenn ich nicht schon in frühen Tagen versucht hätte, in die Nähe des Stimmungszentrums zu kommen. Das gelang meist recht problemlos, denn die Nord war von der Gegengeraden nur durch ein lächerliches Zäunchen getrennt. Und wäre das nicht schon einfach genug gewesen, einfach rüber zu klettern (die spärlich vorhandenen Ordner kratzte das recht wenig), gab es ganz oben noch ein Gatter. Selbstverständlich in 9 von 10 Fällen offen. So war es ein Leichtes, sobald man sich mal an den Doddos der Dreisamba vorbei gezwängt hatte, sich unter die Menge zu mischen und mitzusingen. Der Gästeblock war da auch nicht mehr weit entfernt und so konnten dann ungestört Nettigkeiten ausgetauscht werden (man erinnere sich an mein erstes Spiel im Dreisamstadion – irgendwo war der Rest meiner Fankarriere da schon vorprogrammiert). Die zu der Zeit noch kostenlose Stadionzeitung wurde in rauhen Mengen zerfetzt und als Konfetti hergenommen. Schlauer angestellt hatten es aber immer noch die kleinsten, die sich gleich ein oder mehrere Packen der Lektüre unter den Arm klemmten und sich darauf stellten, damit man direkt am Zaun über die Werbebanden sehen konnte. Natürlich lieferte man sich auch die ein oder andere Wortschlacht mit gegnerischen Spielern – ich speziell kann mich an Jan Furtok der Frankfurter Eintracht erinnern, mit dem ich mal eine kurze „Unterredung“ führte. Eigentlich muss man es nicht erwähnen aber für Brandschutz und dergleichen interessierte sich da auch niemand so wirklich.
ÜBER DEN AUTOR
Der Verfasser des Textes besucht die Heimspiel des Sport-Club Freiburg e.V. seit Mitte der 90er Jahre und ist Mitglied in der Ultra Gruppierung Natural Born Ultras (NBU). Wenn er nicht gerade im Dreisamstadion anzutreffen ist, tourt er als Groundhopper durch die Welt.